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MELODRAMEN VON DE GUISE
1. Juli 2006
Sonnenstrahl im Schall-Loch
von Thomas Altmann, MZ-Dessau

Es ist, als schlüge sie noch ein wenig nach, die Sterbeglocke aus dem Geläut zu Beginn. Quasi al niente trägt auch der letzte Ton noch lange die "Gesammelten Erkenntnisse des Tao Tui: Wer suchet, der suchet. Wer findet, der findet". Und so fort. Bis die letzten, schlagenden Worte in der Altener Kirche gelassen in die Öffnung der Komposition gesprochen werden: "Wer erkennt, der erkennt". In der vergangen Woche fand nunmehr zum zweiten Mal eine Werkstatt für Neue Musik in der Melanchthon-Kirche Dessau-Alten statt. Der Mittwoch war dem Melodram gewidmet. Zwei Kompositionen des Veranstalters Jean Francois de Guise kamen zur Aufführung. "Der Tao Tui, sieben scharfzüngige Weltanschauungen, chinesisch verkleidet von Heinz R. Unger für Sprecher und Klavier" und "Die Sonnensonette, 1. Band, eine Sammlung von 30 Sonetten von Heinz R. Unger für Sprecher und Klavier an Tasten und Seiten". Vor den Tasten saß Wolfgang Kind. Neben den Seiten stand der Komponist, zuweilen im Korpus des Flügels verschwindend. Sprecherin war Silke Wallstein. Und der Dichter Heinz R. Unger weilte vermutlich in Wien, jedenfalls soll er dort leben, wo er 1938 auch geboren wurde. Der Tao Tui sitzt ganz gewiss auf der Insel der Seligen, also in einem Kaffeehaus und verflicht verhalten altchinesische Weisheit mit Wiener Sarkasmus. "Eine Todsünde ist Bescheidenheit" verkündet eine der "sieben Weltanschauungen" und der Tonsatz, oder besser das Klanggerüst, spielt noch relativ bescheiden mit der vermeintlichen Diskrepanz von Ironie und Weisheit, von Mystik und Ekstase, den Text konterfeiend und konterkarierend. Das soll sich noch steigern. Schon der Blick auf die Partitur der "Sonnensonette" ist delikat. Das Notenbild hat seine grafischen Reize. Zwei Seiten Zeichenerklärung sind vorangestellt, Metallhammer, Zahnbürste, Trillerpfeife, Spinnennetzcluster, Note mit Beziehungslinien und so fort. So gesellt sich zu bekannten Tönen die innovative Vorliebe für unerhörte Klänge, deren Struktur schwer nachvollziehbar, deren Notwendigkeit schwer zu greifen ist. Und doch verliert sich das Ganze nicht gänzlich im Spieltrieb. Die großen Sonnenhymnen strahlen augenzwinkernd Pathos aus, spielen mit Einfühlung und Distanz. Und die Musik zwinkert mit, leidet mit oder schlägt dagegen. Wolfgang Kind arbeitet hoch konzentriert. Silke Wallstein führt den Text latent erhaben, unbeteiligt ergreifend. Da mag sie aufgehen, die Sonne, was tröstlich ist: "Es rollt die Welt stets auf die helle Seite". Meistens morgens.
JEAN FRANÇOIS DE GUISE