27. Juni 2006
Klangrausch und Tast(en)gefühl in der 2. Dessauer Musikwerkstatt
Am 27.Juni 19.30 konnte, in der Philipp-Melanchthon-Kirche zu Dessau-Alten, eine sehr interessierte Zuhörerschaft, innerhalb der 2. Dessauer Musikwerkstatt, einem Konzert für Klavier (solo) lauschen, das vom Komponisten Jean François de Guise gegeben wurde. Bei Avantgarde Kompositionen bis hin zur Aktionsmusik entfalteten sich ungewöhnliche Klangspektren des Flügels (Ibach ca.1900), die an das Instrument und auch an das Publikum enorme Anforderungen stellten.Eröffnet wurde das Konzert mit einer Eigenschöpfung de Guise’s. Klangbilder op.1, Nr.1, 3 Miniaturen für Klavier von 1996. Einzeln gestellte Akkorde, die bis ins Nichts verklangen bildeten gewissermaßen das Rückgrat der ersten Miniatur und boten dem geübten Hörer, in der geradezu für Neue Musik prädestinierten Akustik der Altener Kirche, einen Genuss der sich immer weiter verändernden Klangfarben der Ausklänge. Fast hatte man den Eindruck, der Komponist spielt mit der Wirkung von Alpen typischen Echos. Zu diesen Nachklängen gesellten sich dann in der zweiten Miniatur schnell rhythmisierte Motiveinwürfe, die sich im Wesentlichen aus den vorangegangenen Akkorden der ersten Miniatur entwickelten. Die dritte Miniatur vereinigte dann alle bisher aufgetretenen Elemente der Komposition und fügte als Kumulationsebene Cluster ein, die rhythmisch konterkarierend eine Dreidimensionalität offenbarten. Es folgten Tangenten (1977), eine Tonschöpfung des Frankfurter Komponisten Karl Gottfried Brunotte, ein typisches Beispiel für die Avantgarde der 70ger Jahre, die durch ihre Genauigkeit besticht und erzeugte Klänge kumulativ zum Ende zu führt ohne sie zu überlagern. Entstehende Resonanzkolorite werden durch virtuose Passagen in der Komposition gebrochen und wechseln sich mit Clusterläufe ab. Pedaleffekte tragen noch zusätzlich zur Tonbrechung bei oder schichten sich zu Tonflächen auf. Accelerierende Einzeltonreihen münden dann sehr eigenwillig in den Schluss, der durch eine atemberaubende schnelle Zwölftönigkeit charakterisiert wird. Patrice Chopard’s Tasten im Raum (1988/2005), das wohl ungewöhnlichste Werk an diesem Abend, und dessen Titel zweideutig verstanden werden kann, so jedenfalls las es der Zuhörer auf dem Programmzettel, spielte sich fast ausschließlich in der oberen Region der Klaviatur ab. Der Pianist saß am äußersten rechten Rand des Flügels und begann das Werk mit dem Klopfen auf dem Korpus des Instrumentes. Der Flügel reagierte, durch abwechselndes Treten und Loslassen des Pedals, mit einer Fülle von Oberton- und Eigenresonanzen. Die eingeworfenen realen Tonschnipsel wirkten seltsamerweise nicht wie Klänge, sondern kamen dem anfänglichen Klopfen sehr nahe. Dieser Effekt sollte sich auch da einstellen, wo längst kein „Anklopfen“ mehr zu hören war. Chopard verstand es in seiner Komposition geradezu meisterlich, die fließenden Bewegungen im Stück so fortzuführen, dass sich der Zuhörer plötzlich in einer meditativen Wahrnehmung wieder fand und so die vier einzelnen Werkabschnitte als Ganzes erleben durfte. Dieser Eindruck wurde noch zusätzlich durch die besonders einfühlsame und agogische Spielweise de Guise’s verstärkt und machte "Tasten im Raum" zu einem Höhepunkt des Abends. Als letztes Werk des Konzerts stand das Concerto isolato op.1, Nr.5 (2005) auf dem Programm. Auch diese Komposition stammt aus der Feder Jean François de Guise, ein Werk für Spieler und Assistenten. Kennzeichnend für dieses Werk ist die verlangte Virtuosität, die sich beim Spiel an Tasten und Saiten Bahnbrechen musste. Klang- und Rhythmusballungen erschufen einen permanent neuen Hörgenuss und die verwendete Farbpalette macht das Stück zu einer lohnenden Herausforderung für jeden Pianisten. Sieben Clusterschläge brachten das Konzert fulminant zum Ende und entließen die Zuhörer begeistert in den Abend.
Thomas Schönboom, freier Journalist