10. Mai 2005 Gedenkgottesdienst mit musikalischer Avantgarde Am 8. Mai 10.00 wurde in der Philipp-Melanchthon-Kirche in Dessau dem 60. Jahrestag des Kriegsendes gedacht. Anders, als man es gewohnt ist, fand dieses Gedenken in einer eigens für diesen Anlass entstandenen avantgardistischen Komposition seinen Ausdruck. Das Melodram, „Il secondo peccato originale, il mondo della storia“ (Der zweite Sündenfall der Menschheitsgeschichte) von Jean François de Guise, zitiert Texte aus Zeitungen der 30er und 40er Jahre, Internet- und Lexikonberichte und Statistiken sowie originale Tonaufnahmen der Reden von Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Die Hausherrin, Pastorin Barbara Elze, übernahm souverän die Interpretation der oft trockenen und knochigen Abhandlungen und verzichtete dabei auf jeden Pathos, was eine beklemmende aber ehrliche Betroffenheit beim Publikum auslöste. Die Hitlerrede zum Beginn des Krieges und die Proklamation des „totalen Krieges durch Joseph Goebbels, die wie eine Live-Übertragung im Rundfunk angelegt ist, bekommt in ihrer Authentizität eine unfassliche Heutigkeit und ob der immer noch vorhandenen dämonischen Wirkung schauert dem Zuhörer eine Gänsehaut“ über den Körper. Eine äußerst aufrüttelnde Klaviermusik, die für zwei Spieler an Tasten und Saiten geschrieben worden ist, verstärkt die Brisanz der Texte dann noch zusätzlich. Die virtuose Akrobatik der beiden Musiker am Flügel (Stefan Kozinski [an den Tasten] und Jean François de Guise [an den Saiten]) stellt dazu eine spektakuläre Kulisse dar, die in Klangflächen und in Tonexplosionen immer wieder ihren Höhepunkt findet. Die erst befremdlich wirkenden Klänge der „Neuen Musik“, verbinden sich mit den gesprochenen Texten zu einer beinahe visuell emotionalen Erfahrbarkeit, die die Schrecken des Krieges mit sich brachten. Das perkussive Spiel im Inneren des Flügels lässt (hier wird mit Schlagzeugschlegel und Plektrum gespielt, gezupft, geklopft und gestrichen) irreale Tonfarben entstehen, die mit Clusterakkorden und virtuosen Passagen an den Tasten förmlich zu verschmelzen scheinen und ein Durchhören, auch für geübte Ohren) oftmals unmöglich macht. An den Stellen der Komposition, wo de Guise tonale Motive verwendet, wirken diese uns gewohnte Wohlklänge befremdlich und bohrender als die, der avantgardistische Atonalität.